Mittwoch, 13. Mai 2015

Der Geschichtenerzähler

Es war einmal ein Redemptoristen-Pater, der mit großem Vergnügen von all den Dingen erzählte, die er in seinem Leben so erlebt hatte. Oft und gerne plauderte er aus einem großen Erinnerungs-Schatz, den er früh aufzubauen begonnen hatte, und der im Laufe seines Lebens immer reichhaltiger wurde.

[Nebenbei bemerkt: Ich kenne kaum einen Menschen, der sich nach so vielen Jahren noch an so viele Kleinigkeiten erinnern konnte. Als ich Pater Rudi im Dezember des vergangenen Jahres zum letzten Mal sah, wohnte er bereits im Pflegeheim. Ein Horror für einen Menschen, der spätestens seit den frühen 80er-Jahren immer unterwegs war, um pastorales Wirken mit einer Ausdehnung des Horizonts zu verbinden. Ich brachte ihm dann an einem Nachmittag aus seinem Zimmer im Kloster drei dicke Ordner mit, in denen er die Gemeindemissionen dokumentiert hatte, die er zwischen 1978 und 2010 abgehalten hatte. Es gab die Programme der Missionen, dazu Photos der Kirchen und diverser Ereignisse. Er schlug den ersten Ordner auf und sofort sprudelte es aus ihm heraus: "Ach! 1980 in Sankt Soundso in Daunddort! Ich kann mich noch gut an die Pfarrkirche erinnern. Da stand eine Marienstatue an deren rechter Hand ein Finger felhte! Und die Haushälterin hieß Schneider und hatte zwei Kinder. Der Bub konnte sehr gut turnen...". Unfaßbar... Er konnte sich wirklich an die aberwitzigsten Details erinnern]

Jedenfalls: Pater Rudi erzählte immer und überall Geschichten aus seiner Kindheit, aus seiner Jugend und vor allem aus seiner Zeit als Kaplan, als Gemeindemissionar und als Bordgeistlicher auf tausendmilliausend Ozeanschiffen. Die meisten dieser Geschichten waren lustig und interessant, einige abenteuerlich, nur ganz wenige traurig.

Egal wie interessant oder lustig oder aufregend eine Geschichte war: Pater Rudi besaß die Gabe, sie noch viel interessanter, lustiger und aufregender zu machen, indem er sie einfach erzählte.

Wenn sein rundes Gesicht in Mienen schwelgte, wenn er eine Augenbraue hochzog, ein Auge aufriß, das andere halb geschlossen hielt, wenn er sich auf die Unterlippe biß, die Hand vor seinen Mund hielt, sich mit dem Finger an die Schläfe pochte und - dem Spannungsbogen der Geschichte folgend - mit seiner berühmten, leicht angehauchten Normal-Stimme begann, bei Bedarf auch mal ein Raunen oder Flüstern einlegte, um dann bei der Pointe so zu schallen, daß ich nur noch Kirchenglocken vor meinem inneren Auge sah: Das war nicht nur großes Kino für lau, sondern auch so mitreißend, daß ich ihm nicht nur geduldig stundenlang zuhörte und zusah, sondern mir die eine oder andere Anekdote auch gerne mehrmals anhörte.

Oft begann Pater Rudi nämlich eine Geschichte, brach nach dem ersten halben Satz ab und sagte: "Aber das habe ich dir bestimmt schon mal erzählt, oder?" - "Nö" schwindelte ich, bat Gott um Vergebung für die kleine Notlüge und genoß die erneute Aufführung.

Weil irgendwo einmal ein Leser bat, ich möge doch, wenn es nicht zu unangenehm ist, Bilder von Pater Rudi zeigen, veröffentliche ich hier mal einen schönen Schnappschuß, der zeigt, was passierte, wenn Pater Rudi eine Geschichte erzählte: Er selbst war in Hochform und alles, was anwesend war, hing an seinen Lippen (Ich meine übrigens, daß der ihm stets leicht im Nacken sitzende Schalk hier auch ganz gut durchkommt):

1 Kommentar:

Latina hat gesagt…

und nun wird Pater Rudi all seine tollen Geschichten noch lustiger, fröhlicher und lauter den netten Seelen im Himmel erzählen und das wird eine Freude sein!