Donnerstag, 11. Juni 2015

Musik-Geschichte...

[WARNUNG: Im ersten Abschnitt dieses Beitrags taucht der Bandname Simple Minds auf. Bitte dennoch nicht kopfschüttelnd den Browser quitten! Es geht hier nicht um die politpredigenden Bombastrocker mit ihrem Schnabeltassen-Stadionrock, sondern um die kreativen New-Wave-Heroen der frühen 80er. Daß es sich hier um zwei Inkarnationen ein und derselben Band handelt, kann ich übrigens ebenso wenig glauben, wie der Rest der Welt...]

Jetzt erst entdecke ich, daß vor drei Jahren eine CD-Box mit den ersten 5 Alben der Simple Minds veröffentlicht wurde. Ich glaube nicht, daß Jim Kerr, Charlie Burchill & Co das Geld nötig haben, deswegen betrachte ich diesen Eintrag auch nicht als Werbeeinschaltung sondern als Orientierungshilfe für Leute, die irgendwann mal morgens aufwachen und sich denken 'Hmm... Ich würde musikalisch gerne mal in essentiellen frühen 80er-Kram einsteigen, aber ich weiß einfach nicht, womit ich beginnen soll...'

Die Box trägt den Titel "x5", aber man hätte sie auch "Unsere besten Jahre" oder "Macht Euch um den Rest mal keine Gedanken"* nennen können.

Jedermann weiß, daß die frühen Simple Minds in der Tat die besten Simple Minds sind, aber wie gut sind die frühen Simple Minds, wenn man sie nicht neben ihrem späteren Werk sondern neben der gesamten Konkurrenz sieht?

Kurze Antwort: Splendiferös!

Lange Begründung: Begonnen hat alles im April 1979 mit der Veröffentlichung des Debut-Albums "Life in a Day". Es ist die schwächste Scheibe der Box, aber es ist immer noch ein solider Anfang.

[Kurzer Ausflug in die Debut-Alben-Philosophie: Jede Band, die sich zusammentut, hat musikalische Vorbilder und klingt daher während der ersten gemeinsamen Proben in der Regel so, wie eine bereits existierende Band. Die Musik-Kritiker tun das Ihre dazu, indem sie jeden neuen Act darauf untersuchen, wo seine Einflüsse kommen. Sollte es zu einem Plattenvertrag kommen, spielen nicht nur die Kompositionen sondern auch die Produktion eine Rolle. Die wenigsten Bands sind dazu in der Lage, gleich im ersten Anlauf Musik zu bieten, die man so noch nie gehört hat. Es spielt sicherlich auch eine Rolle, daß man als junger Mucker, der den ersehnten Star-Status noch vor sich hat, ganz genau weiß, welcher Stil im eigenen Genre im Moment angesagt ist und die Fans ins Boot holt. Im Grunde ist es fast unmöglich, ein Debut-Album zu veröffentlichen, daß nicht wenigstens Elemente enthält, die man so oder ähnlich bereits gehört hat.]

"Life in a Day" ist ein munteres und irgendwie durchschaubares Durcheinander all jener Einflüsse, die die Simple Minds damals ins Studio trieben. Roxy Music, Cars, Magazine, Bowie und diverse andere glammige, postpunkige, newwavige Acts geben sich die Klinke in die Hand und sorgen für ein zwar durchaus hörbares aber nicht aufhorchen lassendes Debut.

Nur ein halbes Jahr nach "Life in a Day" veröffentlichten die Jungs bereits ihr zweites Album. Wenn man dem Debut etwas böse nachsagen kann, daß hier tatsächlich hin und wieder schlichte Gemüter durchschienen, so wurde dieser Eindruck mit "Real to Real Cacophony" gründlichst auf den Kopf gestellt und dann in Stücke gehauen. In der Tat fällt es schwer zu glauben, daß hier die gleiche Band am Werk ist. Auf dem zweiten Album sagen die Minds nicht mehr "Das sind unsere Einflüsse" sondern "Das sind wir, wenn wir von der Leine gelassen werden". "Real to Real" ist eine Kirmes. Vollgepfropft mit dubiosen Vergnügungen, zuckerreichen Zerstreuungen und gefährlichen Fahrgeschäften nimmt einen die Scheibe von einem Augenaufreißen mit ins nächste. Die Rhythmus-Sektion, Drummer Brian McGee und Bass-Gott Derek Forbes, werden über schlanken, manchmal minimalistischen Song-Strukturen etwas in den Vordergrund geschoben. Elektronik fiepst und blubbert, Melodien mogeln sich durch zerrüttete Taktarten, der Gesang macht so ziemlich, was er will, wüste Klänge raufen miteinander, poltern aus allen Richtungen heran und bilden im Hirn doch ein Ganzes. Auf der zweiten Hälfte wird die Musik etwas rockiger und normaler, ohne allerdings ihren ganz speziellen Reiz zu verlieren. Wenige Bands haben je so geklungen, und die Simple Minds taten es - leider oder zum Glück? - auch nie mehr.

Die Köpfe der Jungs müssen in diesen Jahren vor lauter Ideen förmlich geplatzt sein, denn es dauerte wieder nur 10 Monate, bis der nächste Longplayer in den Regalen stand: Es ist unglaublich, daß "Empires and Dance" von der Plattenfirma nur widerwillig und in minimaler Auflage auf den Markt gebracht wurde, denn die Scheibe ist ein Klassiker. Der "Empires"-Anteil bezieht sich auf die ausgedehnten Touren der Band durch Europa und die dabei erlebten Geschichten, die wohl nicht immer schön waren. Der "Dance"-Anteil wird offensichtlich, sobald die Nadel das Vinyl berührt. Denn der Opener "I Travel" geht mit seinen blubbernden Sequenzern, giggelnden Synthesizern, kielholenden Gitarren, pumpenden Drums und Aufmerksamkeitsdefizit-Bass ab wie Giorgio Moroder in einem Maserati, der Koks getankt hat. Auch die paranoide Disco-Nummer "Thirty Frames a Second", das bei aller Monotonie extrem unterhaltsame "Celebrate" und die 7-Minuten-Hypno-Oper "This Fear of Gods" laden zum mitswingen ein. Ansonsten herrscht der große Minimalismus. Keyboards und Rhythmus bestimmen die Songs, während die schwer mit Effekten verarbeitete Gitarre häufig eher im Hintergrund als Klebstoff dient. Jim Kerr, damals noch Meilen vom Prediger-Nebelhorn entfernt, jault und kiekst und nölt sich mit Anstand und Leidenschaft durch die Lieder.

Wieder nur ein Jahr dauerte es, bis man erneut von den Simple Minds hörte. Sie waren mittlerweile von Arista zu Virgin gewechselt und durften gleich mal ein Doppel-Album veröffentlichen. Oder zwei einzelne Alben... Oder ein Album und eine Extended-Play-Dreingabe... Es ist etwas kompliziert, weil "Sister Feelings Call" ursprünglich den ersten 10.000 Pressungen von "Sons and Fascination" beigelegt wurde, aber später als eigenständiges Album ein Re-Issue bekam. Es wurden jedenfalls im September 1981 fünfzehn neue Songs veröffentlicht, die alle aus den selben Probe- und Songwriting-Sessions stammen. Mit den Singles "The American", "Love Song" und "Sweat in Bullet" tauchte die Band erstmals spürbar in den internationalen Charts auf. A propos "tauchen": Das Doppelalbum genießt am am besten, indem man sich einfach in die Songs hineinplumpsen und sich von ihnen davontreiben läßt. Alles ist ein wenig weicher, reicher, vielschichtiger als auf dem Vorgänger. Selbst monoton stampfende Songs wie der Opener "In Trance as Mission" oder das rabaukig bassende "Sons and Fascination", deren Rhythmus-Sektion noch wie aus "Empires and Dance" mitgebracht scheint, werden durch harmonische Synth/Keyboard-Arbeit etwas entschärft und wirken weniger extrovertiert. Mit "Theme for Great Cities" enthält das Album eine der ganz großen Instrumental-Nummern der 80er. Balladige Stücke wie "This Earth that you Walk upon" und "Seeing out the Angel" haben einen leicht melancholischen Touch und bleiben lange im Ohr hängen. Das Album hat von Elekro-Exotik über Tanz-Pop bis zu Weirdo-Rock einiges zu bieten.

Mit "New Gold Dream 81-82-83-84" wurde im September 1982 dann das Album veröffentlich, welches nach Meinung der meisten Fans die Band auf ihrem Höhepunkt findet. Auf neun polierten, hyper-massiv-produzierten Stücken demonstrieren die Musiker, daß sie gelernt haben, aufeinander Rücksicht zu nehmen und dabei so prachtvolle Hochglanz-Popmusik zu schmieden, daß man hin und wieder mal zu den Boxen schielt, um sicherzugehen, daß da nicht soeben kleine Brillanten herausrieseln. Die Single "Someone, Somwehere in Summertime" ist ja eh Standard. Aber auch weniger bekannte Stücke überzeugen voll und ganz. Das coole "Colours Fly and Catherine Wheel" schichtet auf einer unsterblichen Bassline an genau den richtigen Stellen Elektronika und Stimmen bis zum Pupillenstillstand. Zart und schleppend lädt "Big Sleep" tatsächlich zum Träumen ein und beweist (wie auch "Glittering Prize") einmal mehr, daß die Minds ohne Bassist Derek Forbes nur die Hälfte wert gewesen wären. Das anfangs leicht bedrohlich anschwellende "Hunter and the Hunted" erweist sich schnell als eine weitere perfekte Pop-Nummer, veredelt durch ein Keyboard-Solo von Herbie Hankock. "King is White and in the Crowd" beginnt wie "Hunter and the Hunted" auch irgendwie bedrohlich, hält diese Stimmung aber mit seinen an- und abschwellenden Instrumental-Sprenkeln und seinem stellenweise gebellten Gesang bis ans Ende durch. Der Titelsong "New Gold Dream" ist möglicherweise (es ist schwierig, sich da festzulegen) der Höhepunkt des Albums. Sechs Minuten Sequenzer-/Keyboard-Glückseligkeit mit plump-tanzbarem Cowbell-4/4tel, im Hintergrund herumrührendem Bass und diversen eingängigen Melodien machen es praktisch unmöglich, den Song nach einmal Hören wieder aus der Rübe zu kriegen. Auf ihrem fünften Album haben die Simple Minds uns einen kurzen Einblick in eine perfekte Pop-Welt gegönnt. Die Instrumente spielen im besten Sinne zusammen. Die Keyboards beißen nicht mehr, sondern umhüllen. Die Gitarren liefern sparsame aber wichtige Akzente. Die Stimme wirkt manchmal wie ein Instrument. Die Drums sind auf den Punkt. Das Einzige, was noch rabauken darf, ist der Bass, aber mit einem Derek Forbes an den Saiten wird das nie zur Ego-Show sondern zu einem der Gründe, warum diese Scheibe überhaupt so heiß und unsterblich ist.

Fazit: Die Box vereint das Beste von den Simple Minds und bietet dem Käufer mit den Alben zwei bis fünf nicht nur ein ausgesprochen abwechslungsreiches Hörvergnügen sondern auch mindestens zwei der besten Alben der 80er.
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* Das ist nicht ganz richtig: Sparkle in the Rain (1983) ist auch noch ziemlich großes Kino. Es ist krachender und rockiger als seine Vorgänger, kommt stellenweise sogar ein wenig bombastisch daher, hat aber noch nicht die riesigen Arena-Ambitionen. Die Singles "Speed your Love to Me" und "Waterfront" sind großartig, die Coverversion von Lou Reed's "Street Hassle" ist gelungen und mit "White Hot Day" und "C Moon Cry like a Baby" enthält die Scheibe zwei Juwelen aus der Kategorie "Zum Warmwerden mehrmals hören und dann nie wieder loslassen".

3 Kommentare:

just wondering hat gesagt…

Eine der wenigen Bands, die ich mal mit einem persönlichen Konzertbesuch beehrte. Wohl leider schon zu der Zeit ihrer zunehmenden Kommerzialisierung ...

Der Herr Alipius hat gesagt…

Ich habe sie auch mal live gesehen, bei der "Sparkle in the Rain"-Tour. War ein ziemlich gutes Konzert.

Elsa hat gesagt…

Sauber! Ist druckreif geworden und macht Lust, nochmal an meine Lieblings-Band neu ranzugehen, die dann eben nach einer Million Mal hören doch recht abgenudelt war. Ich war in Heidelberg dabei, da spielten sie noch in einer TURNHALLE (weiß nicht mehr den Tournamen und das Jahr, vllt. Ende Achtziger) und dann später auf der Loreley, Anfang Mitte Neunziger. Die Turnhalle hatte natürlich viel mehr Spaß gemacht ;-)