Donnerstag, 16. April 2015

Das Sterben der Meinen

Josef Bordat fragt und erklärt, warum uns 150 tote Europäer mehr interessieren als 150 tote Afrikaner.

Ich sage: Mich interessieren weder die Einen noch die Anderen.

Das soll kein kaltherziger Einwurf sei, der jetzt aber mal allen Heulsusen und Betroffenheits-Touristen und Nachrichten-Ausschlachtern so richtig zeigen soll, was für ein harter Hund ich bin. Noch weniger soll es ein Vorwurf sein an jene, die intensiv und anhaltend mitfühlen und mittrauern können.

Es ist schlicht und einfach eine Realität, mit der ich, seit ich denken kann, lebe bzw leben muß (abhängig davon, als wie essentiell, also den Mensch zum Menschen machend, die Fähigkeit zum Mitfühlen und Mitleiden bei kleinen und großen Katastrophen allgemein eingeschätzt wird).

Wenn irgendwo soundsoviel Dutzend Menschen bei dieser oder jener Katastrophe ihr Leben verlieren, dann denke ich mir kurz "Scheiße für die armen Angehörigen" und mache weiter. Abhängig von der Art der Katastrophe kann sich noch eine Portion Unverständnis oder Wut beimischen, wenn z.B. haarsträubendes menschliches Versagen die Katastrophe ausgelöst hat, wenn ein Haufen von Frömmigkeits-Verlierern zu den Waffen greift und mal wieder die Spreu vom Weizen zu trennen müssen glaubt oder wenn die gute, alte Gier (egal ob nach Geld oder Macht) dahintersteckt.

Bedeutet das nun, daß ich nicht mitfühlen und mitleiden kann?

Nö.

Josef Bordat schreibt am Ende seines Beitrages:
    Den Raum dieser Dinge, die uns etwas angehen, stetig zu erweitern, auch, wenn sie, diese Dinge, uns erst einmal fremd sind, ist das Gebot der Nächstenliebe, mit dem wir unser Gehirn systematisch überlisten können. Damit uns irgendwann ein “accident” auch dann interessiert, wenn keine “Germans” betroffen sind. Sondern schlichtweg nur “humans”.
Wenn man jetzt mal die "accidents" (die mich, wie gesagt, eher nicht berühren) außen vor läßt, dann kann ich diesen Satz unterschreiben. Es ist tatsächlich so, daß die Zahl der Dinge, die uns etwas angehen, größer ist, als wir vermuten.

"Das geht mich etwas an" sollte man jetzt vielleicht nicht unbedingt immer übersetzen in "Da mische ich mich auf jeden Fall ein, wenn's sein muß auch gerne ungefragt". Akkurater wäre für mein Empfinden eher "Da werde ich sofort helfen, wenn es offensichtlich ist, daß Hilfe benötigt wird".

Die Erweiterung von "Germans" auf "humans" ist dann auch folgerichtig, denn wenn wir sehen, daß jemand in Not ist, dann helfen wir - wenn wir helfen - ja nicht, weil unsere innere Stimme uns sagt "Oh! Dieser Deutsche / Spanier / Türke / Guatemalteke braucht Hilfe" sondern weil sie uns sagt "Dieser Mensch braucht Hilfe".

Tote Menschen sind für mich - streng genommen - uninteressant. Ich bete für die Verstorbenen, das versteht sich von selbst. Aber ich leide nicht mit ihnen und nicht für sie. Ich leide auf Distanz auch nicht mit ihren Angehörigen oder mit denen, die mit ihren Angehörigen leiden, weil mir dazu einfach der Blickwinkel zu fehlen scheint.

Interessant sind für mich die Lebenden, die Begegnung mit ihnen und die Augenblicke, in denen ich plötzlich mit ihnen fühle, mich mit ihnen freue oder auch mit ihnen leide. Säße also die Mutter des Opfers eines Flugzeugabsturzes neben mir in dem Moment, in dem sie die entsetzliche Nachricht erhält, dann hätte ich wahrscheinlich größte Probleme, meine Tränen zurückzuhalten, selbst dann, wenn diese Frau mir bis dahin vollkommen fremd war. Sprich: Mitleid funktioniert grundsätzlich schon, aber auf eine Entfernung von mehreren Hundert Kilometern in Abwesenheit aller Betroffenen irgendwie nicht.

Richtig zu schaffen macht mir der Tod nur dann, wenn er sich einen der Meinen holt. Tut er dies dann auch noch zu einem ungünstigen Zeitpunkt, dann gibt es auch etwas, das mich "emotional wochenlang beschäftigt".

Ansonsten macht mir das Leben zu schaffen, weil da einfach mehr los ist und weil es mir immer wieder meine Versäumnisse vor Augen hält und mir so immer wieder Gelegenheit gibt, dafür zu sorgen, daß ich um mich herum erst einmal nur Menschen sehe und keine Deutschen oder Katholiken oder Weiße oder Gutsituierte etc...

Unter allen Menschen gibt es aber immer die Menge derjenigen, die mich etwas angehen (also im Grunde alle) und die Teilmenge derjenigen, die mir etwas bedeuten (also wenige). Und hier läßt mich der Tod mit seiner unterschiedslos dreinschlagenden Sense durch den entstehenden Schmerz immer ganz genau wissen, wenn er sich aus der Teilmenge bedient.

Mag sein, daß ich egoistisch trauere. Wenn ich andererseits spüre, was so eine richtige Trauer ist, dann ist es vielleicht auch ganz gut, daß sie sich bei mir selten einstellt. Ich bin für diese Täler einfach nicht geschaffen, und meine Mitmenschen haben - wenn sie es denn wollen - mehr von mir, wenn ich mich nicht in diesen Tälern befinde.

5 Kommentare:

Monika hat gesagt…

Daumen hoch.

Das Leben macht mir auch weit mehr zu schaffen. Ich würd die Sache, daß ich nicht wirklich so trauere, wie es soziale Erwartung ist (und daß ich bezweifle, daß das was öffentlich praktiziert wird ... HALT) - eben HALT - mich dazu zu äußern widerspricht meinen Prinzipien. Das scheint sich um vermintes Terrain zu handeln. Andere Leute agieren emotional und hochmoralisch und ich habe keinen Bezug zu dem was sie sagen - halt die Klappe. Ich hab keine Ahnung, was hier vorgeht. HALT die Klappe. Ich weiß nicht, über was die Reden. Sei bloß still!

(Damit keine Mißverständnisse auftreten - bis auf den ersten Satz handelt es sich um ein Selbstgespräch. Ich sage hier zu niemand anderem er/sie soll die Klappe halten!)

PS:
Kannst Du das Kommentarfenster bitte vergrößern?

Der Herr Alipius hat gesagt…

Auf die Größe des Kommentarfensters habe ich leider keinen Einfluß.

Juergen hat gesagt…

Danke für den Beitrag.
Um wildfremde Menschen tatsächlich „echt“ zu trauern, ist wirklich etwas… hmm… naja… also…

(Wenn man als Browser Chromium benutzt, hat man unten in der rechten Ecke im Kommentarfenster einen "Anfasser" mit dem man das Fenster größer ziehen kann. – Ob das bei anderen Browsern auch funktioniert, weiß ich nicht.)

Anonym hat gesagt…

Ich glaube, sehr viele Menschen sehen nicht den Unterschied zwischen "traurig sein wegen etwas" und "trauern um jemanden".
Auch ich kann nicht wirklich trauern um die vielen Menschen, die täglich auf schreckliche Weise sterben. Auch nicht, wenn mich ihr Leid und das viele Sterben traurig macht.
Ich glaube auch nicht, daß man überleben könnte, wenn man an jedem Tod solchen Anteil nimmt, als wäre es der Tod eines nahen Freundes oder geliebten Verwandten.

Monika hat gesagt…

@Jürgen Niebecker
Danke, Fenster vergrößern geht, mit Google Chrome